Freundschaften können auf den verschiedensten Wegen entstehen. Manche Menschen lernt man in der Schule kennen, andere trifft man im Sportverein oder durch gemeinsame Interessen. Meine außergewöhnliche Freundschaft begann vor einigen Jahren, als ich Claude kennenlernte.
Claude, ein Mann mittleren Alters mit struppigem, grauem Haar und einem wissbegierigen Blick, war zu der Zeit Obdachloser. Ich traf ihn das erste Mal in einem Park, als er auf einer Bank saß und in einem Buch las. Sein ganzes Hab und Gut befand sich in ein paar Plastiktüten neben ihm, aber er strahlte eine Ruhe und Gelassenheit aus, die mich sofort faszinierte.
Von diesem Tag an begann ich regelmäßig Zeit mit Claude zu verbringen. Wir trafen uns im Park und verbrachten Stunden damit, über Bücher, Kunst, Musik und das Leben an sich zu reden. Claude hatte eine verblüffende Allgemeinbildung und schien zu jedem Thema etwas zu wissen. Es inspirierte mich, meine eigenen Interessen weiter zu verfolgen und mein Wissen zu erweitern.
Trotz seiner Situation war Claude ein sehr positiver und optimistischer Mensch. Er hatte keine Familie oder viele Freunde, aber er schien glücklich mit dem Leben, das er führte. Er erzählte mir Geschichten über seine Reisen durch die Welt, von den Menschen, die er getroffen hatte, und den Lektionen, die er auf seinem Weg gelernt hatte. Seine Geschichten brachten mich dazu, das Leben aus einer neuen Perspektive zu betrachten und dankbar für das zu sein, was ich hatte.
Claude hatte auch eine große Leidenschaft für Kunst. Er war selbst ein begabter Maler, der seine Werke in Ausstellungen und Galerien präsentiert hatte, bevor er obdachlos wurde. Wir besuchten oft Kunstausstellungen zusammen und sprachen über die verschiedenen Stile und Techniken. Er ermutigte mich, meine eigene kreative Seite zu entdecken und auszudrücken.
Obwohl wir unterschiedlicher nicht sein konnten – ich ein junger, privilegierter Student und er ein Obdachloser – war unsere Verbindung tief und aufrichtig. Wir teilten unsere Träume, Ängste und Ziele miteinander. Claude wurde zu meinem Mentor und Vorbild. Er zeigte mir, dass es im Leben nicht darum geht, was man hat, sondern wie man es nutzt, wie man sich selbst entfaltet und wie man anderen Menschen begegnet.
Leider hat sich unser Kontakt im Laufe der Jahre verloren. Claude wurde von einem Hilfsprogramm für Obdachlose aufgenommen und konnte wieder ein eigenes Zuhause finden. Obwohl ich ihn vermisse, bin ich dankbar für die Zeit, die wir miteinander verbracht haben und die Lektionen, die er mir beigebracht hat.
Claude und ich – eine ungewöhnliche Freundschaft, die mein Leben nachhaltig beeinflusst hat. Er hat mir gezeigt, dass wahre Freundschaft nicht auf Äußerlichkeiten oder sozialen Status basiert, sondern auf echtem Verständnis und gegenseitigem Respekt. Durch ihn habe ich gelernt, dass es immer Möglichkeiten gibt, Verbindungen zu knüpfen und das Leben in all seinen Facetten zu genießen. Ich bin dankbar für unsere Freundschaft und hoffe, dass jeder von uns jemanden wie Claude in seinem Leben hat.